Facetten der Gemeinschaft

 
Füsse
Was bringt Gemeinschaft? Sie steht auf dem Prüfstand. Die neuste Ausgabe des Magazins INSIST erkundet ein Feld, dem in der individualistisch orientierten Gesellschaft ein skeptisch aufgemischtes Interesse entgegenkommt. Ohne Gemeinschaften kommt die Gesellschaft nicht aus - aber wer will sich binden und einengen lassen?

Das Dossier des Aprilhefts von INSIST eröffnet der Chrischona-Direktor Markus Müller mit der These, dass der geschwächte und vielfach angefochtene Westen verbindliche Gemeinschaften braucht. Nur sie könnten konstruktive Veränderungen bewirken. Die Gesellschaft brauche «nichts so sehr wie Orte der Hoffnung, der Wahrheit und der Barmherzigkeit», Milieus, «in denen Menschen gesunden», in denen «wahr geredet wird und Lüge kein taugliches Mittel ist, Lebensziele zu erreichen».

Gemeinschaftsfähig - sonst geht nichts mehr
Gemeinschaftsfähigkeit ist laut Müller nötig, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Er klagt, dass für viele Ehe und Familie kein Zukunftskonzept mehr ist, und plädiert für Gemeinschaft, in der Ehefähigkeit gelernt wird. Zum 21. Jahrhundert formuliert Markus Müller die Frage, ob wir, ohne in kollektivistische Fallen zu tappen, «den destruktiven Individualisierungsschüben etwas entgegen setzen können».

Bonhoeffers Tiefgang und Nüchternheit
Der Niederbipper Pfarrer Daniel Ritter legt Bonhoeffers theologische Aussagen zum gemeinsamen Leben dar. Für den deutschen Theologen war Gemeinschaft mit anderen Christen ein Geschenk, für das man kaum genug danken kann. Sie geschieht «durch Jesus Christus und in Jesus Christus». Christen können einander bestätigen, dass Gott sie liebt und zu ihnen steht. Ein Christ kommt zum anderen nur durch Christus. Und: «In Christus sind wir vereinigt für die Ewigkeit.» Echte Gemeinschaft muss in der Realität wachsen, jenseits aller Wünsche und Träume. Ritter betont in der Spur Bonhoeffers, dass sie nicht eine seelische, sondern eine geistliche Wirklichkeit ist.

Wie einst unter Benedikt?
Kommunitäten faszinieren als Gegenstück zu den Mikroeinheiten, in denen die meisten Schweizer heute leben. Heiner Schubert, Leiter der Kommunität Don Camillo, in der er mit seiner Familie seit einem Vierteljahrhundert lebt, blickt auf die Mönchsregeln Benedikts, die fürs Abendland grundlegend wurden. «Nur eine klare Leitung erlaubt, dass alle gehört werden, sonst gehen die Leisen in der Gemeinschaft unter.» Treue ist die «Bereitschaft, sich an Abmachungen zu halten». Das Schweigen werde der Kommunität immer wichtiger. In allem geht es um Nachfolge, betont Schubert: «Wir leben gemeinsam, weil wir Jesus nachfolgen wollen.» Dazu müsse eine gemeinsame Vision kommen. Für Benedikt bestand sie aus Armut, Keuschheit und Gehorsam, bei Don Camilllo zeigt sich die gemeinsame Nachfolge im Teilen, Gastfreundschaft und sozialem Engagement.

Zuerst und viel mehr im Dorf
INSIST-Herausgeber Hanspeter Schmutz ist überzeugt, dass Jesus «mit seinem Leib in die Welt eingreifen will» - zuerst ins Dorf oder Quartier, in dem ich lebe. Da sollen «heilsame und heilende Gemeinschaften» wirken. Kirche ist aber laut Schmutz «Trainingsraum für etwas Grösseres»: den Einsatz in den Bereichen der Gesellschaft. «Uns ist dabei nicht das Paradies auf Erden verheissen. Wir sind aber beauftragt, in dieser Richtung zu handeln, bis Christus kommt und die Welt ganz heil macht.» Der Publizist ruft dazu auf, mehr Zeit bewusst für die Nächsten einzusetzen, auch für Vereine, Quartiertreffpunkte und Parteien. Gemeinde sollte auf den Ort bezogen sein. Generell formuliert Schmutz: «Pro Dorf oder Stadtquartier gibt es nur einen Christusleib.»

Gegenmittel zur Einsamkeit
Mehrere Beiträge befassen sich mit Haus- und Wohngemeinschaften. Die Theologiestudentin Bettina Troxler schätzt Beziehungen höher als die grösstmögliche Unabhängigkeit. Mit gemeinschaftlichem Leben sollten Christen Gegensteuer geben zu Individualismus und Einsamkeit. Thomas Bucher erzählt von der ‚Finkengemeinschaft‘ von vier Ehepaaren und zwei Alleinstehenden. Finken als Hausschuhe: «Wir möchten so wohnen, dass wir trockenen Fusses zueinander gelangen können.» Die Gruppe sucht entsprechenden Wohnraum; die Einzelnen sollen entlastet werden und sich mehr ihrem spezifischen Auftrag widmen können.

Zweierschaft
Dorothea Gebauer, Chrischona-Kommunikationsleiterin, verarbeitet Erkenntnisse der systemischen Denkweise, die kranke Gemeinschaften vermeiden helfen: «Ziele durchsetzen, Präsenz zeigen und Reife fördern». Fritz Imhof weist auf eine Website hin, auf der sich christliche Lebensgemeinschaften vorstellen (siehe Link unten). Hanspeter Schmutz begründet Zweierschaft aus der Bibel («Zwei Menschen schliessen sich zusammen, um ... das Leben zu teilen und Gott zu dienen») und schildert seine drei Zweierschaften.

Ohne Wenn und Aber
Ruth Maria Michel plädiert für ein «Ja - ohne Wenn und Aber», gegen den Zeitgeist. Menschen lernen, sich treu zu bleiben, ohne den andern aus den Augen zu verlieren - Gott gibt ihnen mit seiner bedingungslosen Liebe festen Boden. Allerdings dürfe diese Liebe nicht mit bedingungsloser Anerkennung und Billigung jeglichen Verhaltens verwechselt werden. Felix Ruther ruft dazu auf, der Sehnsucht nach Gott Raum zu geben und Psalmen zu beten, die auf ihren Weg helfen.

Für den grösseren Lesehunger
Eingebettet ist das Dossier zu Gemeinschaft in einen Strauss von Texten: Ein Interview mit dem Paarberater Jörg Schori und gehaltvolle Kolumnen, darunter ein Plädoyer von Heinz Rüegger gegen das Missverstehen von Altern als Krankheit, runden das Magazin ab.

Zum Thema:
«Die Schweiz mit einem Netz von Lebensgemeinschaften überziehen»: Text aus dem Magazin
Das ganze Heft lesen: Bestellungen an Ruth Imhof, magazin@insist.ch.
Die Artikel werden später online gestellt.

Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch
Datum: 05.05.2010

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