Erziehung: Damit aus Frust nicht Gewalt wird

 
Damit aus Frust
Kinder und Jugendliche erleben viele Situationen, mit denen sie nicht klarkommen. Umso wichtiger ist eine Erziehung, die ihnen frühzeitig hilft, Frustrationen zur Sprache zu bringen und konstruktiv zu verarbeiten.

Christian Mantel, pädagogischer Leiter der Stiftung „Gott hilft“ in Zizers, plädiert für eine sorgfältige pädagogische Aufbauarbeit im Umgang mit Frust. Sein Motto: „Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt ist“ (Die Bibel, Sprüche, Kapitel 22, Vers 6).

Erstes Beispiel: „Ruedi (Name geändert) kommt von der Schule nach Hause, geht an mir vorbei in sein Zimmer. Kurze Zeit später kommt er zu mir in die Küche, setzt sich neben mich, und wir sprechen über seine Erfahrungen des Morgens in der Schule. Ich bemerke, wie sein Gesicht immer verbissener wird. Und dann, aus scheinbar heiterem Himmel schlägt er mit der Faust auf meinen Brustkorb. Ich bin schockiert, frustriert… mit einem ganzen Korb von Emotionen konfrontiert. Ratlosigkeit macht sich breit. Fragen steigen in mir auf: Was habe ich falsch gemacht, versäumt? Wie soll ich darauf reagiere? Nebenbei fällt mir auf, dass es nicht das erste Mal ist, dass Ruedi mich in einer solch verletzenden, schmerzhaften Art attackiert.“ (Aus dem Gespräch mit einer Mutter eines 9-jährigen Knaben in einer Erziehungsberatung)

Täglich lesen, hören, sehen wir Meldungen von Gewalt in ihrer unterschiedlichsten Ausprägung. Dabei scheint die Altersgrenze von gewaltbereiten Kindern immer weiter nach unten zu sinken. Das oben beschriebene Beispiel muss im Vergleich noch unter „harmlosere Vorkommnisse“ eingestuft werden.

Reaktionen aus Umwelt, Politik und Pädagogik auf solche Meldungen sind oft angstbesetzt, und die Schuldfrage beziehungsweise die Schuldzuordnung steht im Vordergrund. Dabei geht es meistens darum, dass die Verantwortung zugeordnet, abgeschoben, die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden können, damit andere straffrei ausgehen, nicht belangt werden. Das kann keine Antwort auf solches Verhalten sein, vor allem ist es keine nachhaltige Antwort.

Gibt es einen christlichen Ansatz?
Welche Antworten haben Christen auf diese gesellschaftliche Entwicklung? Im Besonderen wollen wir uns mit damit beschäftigen, wie wir als Eltern, die aus einer geistlichen Grundhaltung heraus leben, unsere Kinder lehren können, mit Frustrationen und Problemen umzugehen, ohne destruktive Verhaltensmuster anzuwenden.

Gewalt unter Menschen ist so alt wie die Menschheit. Schon in den Anfängen hat Kain seinen Bruder Abel ermordet. Wir lesen in der Bibel in 1. Mose, Kapitel 4, Verse 4-8: Gott nimmt die Opfergabe von Kain nicht an. Dieser ist frustriert (= sein Ziel nicht erreicht). Er wird wütend (heftige Erregung), senkt sein verfinstertes Gesicht zu Boden. Von Gott auf seine Haltung angesprochen, klinkt sich Kain aus, wendet sich ab, verlagert seinen Frust auf seinen Bruder und plant dessen Tod.

Ohnmacht – Frustration – Gewalt
Hier kann man einige Punkte festhalten:

1. Jedes menschliche Handeln ist bewusst oder unbewusst zielgerichtet. Wir wollen etwas erreichen mit dem, was wir tun. Unsere Beweggründe dazu sind uns oft verborgen und in unserer Haltung begründet. Bei Kain war es möglicherweise Habsucht. Bei Anwendung von Gewalt liegen hinter der Wut und der Aggression die eigentlichen Beweggründe in der Ohnmacht. (Gott sieht und nimmt die Opfergabe des Bruders an und meine nicht!)

 
Kurze Zeit später kommt er
2. Wenn wir durch andere Menschen auf unser Verhalten oder unsere innere Haltung angesprochen werden, löst dies Emotionen in uns aus. (In unserem Beispiel ist es Gott der Kain anspricht: Weshalb weichst Du mir aus?) In der Regel sind wir zunächst frustriert und reagieren mit Abwehr. Das heisst, wir suchen den Fehler bei andern, den Splitter im Auge des andern; damit können wir unseren Balken im Auge besser aushalten. Wir verlagern das Problem nach aussen.

3. Damit klinken wir uns aus, zeigen uns nicht verantwortlich und “lösen“ das Problem, indem wir eben dieses Problem jemandem zuordnen. Damit ist es aus den Augen und aus dem Sinn. Wir verweigern uns, über anstehende Fragen nachzudenken, weil die Fragen gar nicht mehr existieren, weil wir ja die Verantwortung an andere delegiert haben.

4. Im Untergrund bleibt aber ein Vakuum. Wir sind enttäuscht, bemerken die Selbsttäuschung, wollen das Problem ganz aus der Welt schaffen und greifen zu andern Mitteln, um dies in die Tat umzusetzen.

5. Aggressives Verhalten ist oft die sichtbare Antwort auf Frustration, Verletzungen, mit denen wir nicht fertig werden, weil wir uns ohnmächtig fühlen. Wenn wir Gewalt anwenden, fühlen wir uns etwas mächtiger, selbst wenn das Resultat eine neue Frustration auslöst. Ein Teufelskreis.

Erwachsene sind Vorbilder
Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass ich im vorhergehenden Abschnitt immer in der Wir-Form geschrieben habe. Prävention von Gewalt beginnt bei uns Erwachsenen – bei uns als Menschen, die mit Frustrationen nicht umgehen können.

Fragen:
- Welche Aggressionsmuster kennen Sie, wenn Sie unter Stress geraten?
- Welche inneren und äusseren Prozesse werden bei Ihnen aktiviert, wenn Ihr Kind aggressives Verhalten zeigt?
- Welche Möglichkeiten geben Sie Gott, in solchen Situationen bei Ihnen einzugreifen?
- Welches Vorbild-Verhalten zeigen Sie Ihrem Kind?

Das Kind verstehen und es weiterführen
Nachfolgend weise ich auf sechs Aspekte hin, die zu einer gesunden Entwicklung für Kinder im Umgang mit Gewalt beitragen können.

Eine innere Nein-Haltung zur Gewalt
- Wir konfrontieren Gewaltverhalten bei unseren Kindern angemessen – auch in der Lautstärke.
- Wir konfrontieren nicht erst auf „Stufe 4“, wenn das Kind andere schlägt. Oft beginnt es bei den ganz kleinen Dingen, beispielsweise mit Worten aus der Fäkalsprache!

Beispiel:
„Ruedi dieser Schlag hat mir wehgetan! Das akzeptiere ich nicht so! Ich möchte jetzt für 5 Minuten für mich allein sein! Geh in Dein Zimmer!“

Gefühle sind okay. Wie ich diese ausdrücke, ist entscheidend
 
Kinder und Jugendliche erleben
- „Ich bin wütend“, „Ich hasse Dich!“ sind beispielsweise nicht selten Aussagen von Kindern, die wir als christlich ausgerichtete Erwachsene zurückweisen, in der Haltung und oder in Worten: „Das ist nicht gut, das darf nicht sein!“
- Damit lassen wir das Kind allein mit seiner Wut, verschliessen sogar die Überdruckventile, und das Kind kann daraus schliessen: „Gott wacht über mir und ahndet meine negativen Gefühle. Ich muss mich vor ihm ich acht nehmen.“

Beispiel:
„Ruedi, gestern war ich wütend auf die Person X. Eigentlich war ich aber traurig, weil jemand anders mich sitzen gelassen hat und sich nicht an sein Versprechen gehalten hat. Könnte es ähnlich gewesen sein bei Dir?“

Das Kind nicht allein in seinem Frust lassen
- Als Eltern sagen wir ja zur momentanen Überforderung des Kindes, mit einem Problem fertig zu werden.

Beispiel:
„Ruedi, ich verstehe Deine Gefühle, so ist es mir auch schon ergangen. Deine Art, wie Du reagiert hast, war für mich schwierig, und wenn Du das bei andern so machst, handelst Du dir Schwierigkeiten ein. Willst Du mit mir zusammen besprechen, wie Du das anders lösen könntest?

Konstruktive Alternativen
- Wir erarbeiten mit dem Kinde Alternativen, wie es in dieser Situation reagieren könnte. Wir fördern Multioptionalität: Ich habe verschiedene Möglichkeiten, wie ich in einer Situation reagieren kann.

Beispiel: Eltern
„Komm, wir gehen nochmals zurück in die Situation. Du kommst nach Hause und Du spürst den Ärger, deine Wut im Bauch! Was könntest Du jetzt tun?

Ansätze Kind
„Ich erzähle was ich erlebt habe!“
„Ich will nicht darüber reden, aber ich möchte jetzt am liebsten alles kurz und klein schlagen!“

Eltern
Konstruktive Ablassventile suchen und finden.

Kind
„Ich will jetzt nicht darüber reden, wenn ich das dann doch will, dann komme ich zu dir!“

Eltern
Versprechen aushandeln, dass das Kind in der Zwischenzeit nicht gegen sich, andere oder Material aggressiv wird.

Kind
„Ich könnte weinen und brüllen!“

Eltern
“Tu es, das ist okay.“

Die Chance des Glaubens
 
Christian Mantel.
Christian Mantel.
Kind
„Ich werde diese Gefühle nicht los! Es tut so weh!“

Eltern
„Wenn Du das willst, können wir diesen Frust, den Du erlebt hast, auch Gott bringen und bei ihm abladen, willst Du das?“ „Und wenn Du wieder alleine bist und die Gefühle wieder kommen, dann kannst Du sie wieder und immer wieder Gott abgeben.“

Wenn das Kind gar nicht öffnen will, sind wir als Eltern gefordert, auf das zu hören, was das Kind NICHT sagt.

Eltern
„Ich lasse Dich im Moment für Dich allein, innerlich bin ich bei Dir. Du kannst jederzeit kommen, wenn Du mit mir sprechen willst.“

Nachhaltigkeit heisst: üben und dranbleiben
Beispiel:
Ruedi, gestern hatten wir ein Gespräch zusammen. Wie ist es Dir heute ergangen? Sind dir die Sachen etwas besser gelungen?

Oft handeln wir in schwierigen pädagogischen Situationen zu schnell: gut oder weniger gut. Wenn die Situation sich beruhigt hat, sind wir froh, dass es so ist, und gehen zur nächsten Beschäftigung weiter. Damit ist aber in den wenigsten Fällen etwas getan für die mit Sicherheit eintreffende nächste schwierige Situation. Wir können die beruhigte Situation für eine fördernde Intervention nutzen.

Mehr zum Thema: Hilflos der Jugendgewalt ausgeliefert?

Autor: Christian Mantel
Quelle: Livenet.ch

  Artikel versenden
Druckansicht
 
Rat & Hilfe per E-Mail
Haben Sie Fragen oder suchen Sie Rat? [weiter]

 

 

 

 

Suche 
Newsletter bestellen