lebenshilfe-net.ch - 24.04.2024, 03:04
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Stillstand in der Lebensmitte

[bild539:r] «Die Luft ist draussen. Ich mag nicht mehr! Ich habe keine Energie mehr. Am liebsten würde ich einfach davonlaufen!»

Der Mann, der mir diese Sätze hinwarf, war 42 Jahre alt, gutaussehend und hatte einiges in seinem Leben erreicht: eine bedeutende Position im Beruf, eine prächtige Familie, und auch in seiner Kirchgemeinde erschien er als eine Säule.

Jetzt fühlte er sich ausgebrannt. «Eigentlich bin ich in den besten Jahren, aber ich fühle mich so schlecht wie nie zuvor!» In den Gesprächen zeigte sich, dass er sich überall mit ganzer Kraft eingebracht hatte. Sich selbst und manchmal auch seine Familie hatte er vernachlässigt. Dann war ihm ein Projekt misslungen. Zudem wurden in der Firma neue Computer installiert. Und schliesslich gab es noch eine Auseinandersetzung mit seiner Frau, weil sie wieder in ihren Beruf als Krankenschwester einsteigen wollte.

Nichts mehr im Griff
Zum ersten Mal hatte er den Eindruck, nicht mehr alles im Griff zu haben. Nachts wachte er mit Herzklopfen auf, grübelte nach und kam zu keinem Schluss. Tagsüber fühlte er sich erschöpft, ohne Schwung, wie ausgebrannt. Nichts wollte ihm mehr gelingen, alles ging ihm nur noch schwer von der Hand.

Eine solche Situation tritt meistens in der Mitte des Lebens auf. In diesem Abschnitt sind viele Menschen besonders burnout-gefährdet. Zeiten starker äusserer Beanspruchung fallen zusammen mit langsam nachlassenden Kräften und der Phase der «Midlife-Krise». Bei Frauen verändert sich zudem der Zyklus mit allen Begleiterscheinungen und signalisiert, dass man nicht mehr so jung und dynamisch ist wie früher. All das vermengt sich oft zu einem «Burnout».

Dieser ist besonders tiefgreifend, wenn man für eine aufreibende Arbeit nur wenig Anerkennung und mitmenschliche Unterstützung erfährt und zu den Belastungen am Arbeitsplatz noch private Probleme hinzukommen.

Was merken die Betroffenen selbst? Sie spüren, dass ihnen alles zuviel wird, leiden unter konstanter Übermüdung und Lustlosigkeit und sind dennoch innerlich angetrieben. Oft redet der Körper eine deutliche Sprache: Schwitzen, Herzklopfen, Kopfweh, Rückenschmerzen oder Impotenz verstärken das Gefühl, «nichts mehr wert zu sein». Die Betroffenen sind nicht mehr belastbar, leicht zu reizen, den Tränen nahe und haben nurmehr wenig Distanz zu den Dingen, die an sie herankommen.

Die innere Kündigung
Die Gefühle sind aus dem Lot gefallen; Angst, Wut oder Pessimismus lassen sich nicht mehr durch die Vernunft auffangen. Der seelische Schlingerkurs trotzt jeder Intelligenz und allem guten Willen. Im Blut zirkulieren vermehrt Stresshormone, die das Gefühl der inneren Unruhe vermitteln, obwohl man äusserlich müde und deprimiert ist.

Besonders krisenanfällig sind Leute mit einem hohen persönlichen Engagement im täglichen Umgang mit anderen, aber auch Menschen mit einem hohen Anspruch an sich selbst: «Ich will gut sein, ich will erfolgreich sein, ich will es den andern zeigen!» Sie zeichnen sich aus durch ihre Sensibilität für Mitmenschen und Situationen und durch ihr hohes Verantwortungsgefühl.

Doch gerade das wird ihnen zum Fallstrick, weil sie sich oft schlecht abgrenzen können. Jetzt schlägt das frühere Engagement in Arbeitsunlust und Überforderung um. Eine negative Grundeinstellung macht sich breit, die sich in Dienst nach Vorschrift und im Widerstand gegen Veränderungen zeigt; man lebt in einer «inneren Kündigung».

Auch die Familie leidet mit, wenn Eltern in die Midlife-Krise geraten. Die Kinder werden «schwierige Teenies», die Partner sind nicht mehr die, die man geheiratet hat. Man will es nicht wahr haben, dass man älter wird. „Forever young! - Immer jung bleiben", das wäre so schön! Plötzlich sucht die Frau oder der Mann das Abenteuer, was so gar nicht zu den früheren Werten passt und die Familie in eine zusätzliche Zerreissprobe führt. Eine weitere Stress-Spirale tut sich auf.

Überleben im Umbruch
Jede Veränderung beginnt mit der Einsicht, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Aber es ist wie bei der Notbremsung eines Zuges: Der Bremsweg ist oft erstaunlich lang. Halten Sie inne und fragen Sie sich: «Habe ich ein Ja zu den Veränderungen in meinem Leben? Wie kann ich das Beste daraus machen, ohne alles hinzuwerfen? Wie kann ich in Verantwortung vor Gott leben, auch wenn die hohen Ziele nicht erreichbar sind?»

Setzen Sie ihre Kräfte gezielt ein, denn jeder Mensch hat nur begrenzte Energie; bauen Sie Verschnaufpausen in den Alltag ein. Und ganz wesentlich: Lernen Sie, nein zu sagen! Nehmen Sie sich Zeit für Hobbys und für Entspannung. Verlagern Sie berufliche Probleme nicht ins Privatleben.

Seine Kräfte richtig investieren
Pflegen Sie ganz bewusst Ihre Ehe. Gemeinsame Zeiten sind oft wichtiger als zusätzliche Ehren und Aufgaben! Halten Sie bewusst zusammen in all den Fragen der Lebensmitte. Die Zeit mit den Kindern ist manchmal anstrengend, aber langfristig investieren Sie in das wichtigste Gut auf Erden! Wer sein Leben in diesem Sinne ordnet, der erlebt auch, dass seine biologischen Alarmglocken allmählich stiller werden und eine neue Lebensqualität Platz greift.

In der Krise liegt auch eine Chance: Es gilt zu erkennen, dass wir wertvoll sind, selbst wenn wir an unsere Grenzen geraten sind. Oftmals werden wir aufgerüttelt, neue Weichen-Stellungen für die Gestaltung des Lebens vorzunehmen. Und schliesslich hat so mancher in seiner eigenen Krise gelernt, andere Menschen besser zu verstehen. So gesehen kann die Midlife-Krise auch zu einem Neuanfang werden, der dem Leben eine Wende gibt.

Dr. med. Samuel Pfeifer
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