lebenshilfe-net.ch - 29.03.2024, 09:09
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Erziehung: Damit aus Frust nicht Gewalt wird

 
Erziehung
Kinder und Jugendliche erleben viele Situationen, mit denen sie nicht klarkommen. Umso wichtiger ist eine Erziehung, die ihnen frühzeitig hilft, Frustrationen auszudrücken und konstruktiv zu verarbeiten.

Christian Mantel ist pädagogischer Leiter der Stiftung „Gott hilft" in Zizers. Er plädiert in diesem Beitrag für einen sorgfältigen pädagogischen Umgang mit Frust. Sein Motto: „Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt ist" (Die Bibel, Sprüche, Kapitel 22, Vers 6).

Ein erstes Beispiel
„Ruedi (Name geändert) kommt von der Schule nach Hause, geht an mir vorbei in sein Zimmer. Kurze Zeit später kommt er zu mir in die Küche, setzt sich neben mich, und wir sprechen über seine Erfahrungen des Morgens in der Schule. Ich bemerke, wie sein Gesicht immer verbissener wird. Und dann, aus scheinbar heiterem Himmel schlägt er mit der Faust auf meinen Brustkorb. Ich bin schockiert, frustriert ... mit einem ganzen Korb von Emotionen konfrontiert. Ratlosigkeit macht sich breit. Fragen steigen in mir auf: Was habe ich falsch gemacht, versäumt? Wie soll ich darauf reagiere? Nebenbei fällt mir auf, dass es nicht das erste Mal ist, dass Ruedi mich in einer solch verletzenden, schmerzhaften Art attackiert." (aus dem Gespräch mit einer Mutter eines 9-jährigen Knaben in einer Erziehungsberatung)

Immer mehr Gewalt von Jugendlichen und Kindern?
Täglich lesen, hören, sehen wir Meldungen von Gewalt in ihrer unterschiedlichsten Ausprägung. Dabei scheinen die gewaltbereiten Kinder immer jünger zu werden. Das oben beschriebene Beispiel muss im Vergleich zu andern Vorkommnissen noch als „relativ harmlos" eingestuft werden.

Reaktionen aus Umwelt, Politik und Pädagogik auf solche Meldungen sind oft angstbesetzt, und die Schuldfrage beziehungsweise die Schuldzuordnung steht im Vordergrund. Dabei geht es meistens darum, dass die Verantwortung zugeordnet, abgeschoben, die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden können, damit andere straffrei ausgehen, nicht belangt werden. Das kann keine Antwort auf solches Verhalten sein, vor allem ist es keine Antwort von Dauer.

Ohnmacht - Frustration - Gewalt
Hier kann man einige Punkte festhalten:

  1. Jedes menschliche Handeln ist bewusst oder unbewusst zielgerichtet. Wir wollen etwas erreichen mit dem, was wir tun. Unsere Beweggründe dazu sind uns oft verborgen und in unserer Haltung begründet. Die eigentlichen Beweggründe für Gewalt liegen in der Ohnmacht.

  2.  
    Erziehung
    Wenn wir durch andere Menschen auf unser Verhalten oder unsere innere Haltung angesprochen werden, löst dies Emotionen in uns aus. In der Regel sind wir zunächst frustriert und reagieren mit Abwehr. Das heisst, wir suchen den Fehler bei den andern und verlagern damit das Problem nach aussen.

  3. Wir klinken uns auf diese Weise au und zeigen uns nicht verantwortlich. Wir „lösen" das Problem, indem wir es jemandem zuordnen. Damit ist es aus den Augen und aus dem Sinn. Über eventuell anstehende Fragen müssen wir nicht weiter nachdenken; sie wären ja an andere delegiert.

  4. Im Untergrund bleibt aber ein Vakuum. Wir sind enttäuscht, bemerken die Selbsttäuschung, wollen das Problem ganz aus der Welt schaffen und greifen zu andern Mitteln, um dies in die Tat umzusetzen.

  5. Aggressives Verhalten ist oft die sichtbare Antwort auf Frustration, auf Verletzungen, mit denen wir nicht fertig werden, weil wir uns ohnmächtig fühlen. Wenn wir Gewalt anwenden, fühlen wir uns etwas mächtiger, selbst wenn das Resultat eine neue Frustration auslöst.

Erwachsene sind Vorbilder
Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass ich im vorhergehenden Abschnitt immer in der Wir-Form geschrieben habe. Prävention von Gewalt beginnt bei uns Erwachsenen, die mit Frustrationen oft nicht umgehen können.

  • Welche Aggressionsmuster kennen Sie, wenn Sie unter Stress geraten?
  • Welche inneren und äusseren Prozesse werden bei Ihnen aktiviert, wenn Ihr Kind aggressives Verhalten zeigt?
  • Welches Vorbild-Verhalten zeigen Sie Ihrem Kind?
6 Aspekte gegen Gewalt
Ich verweise ich auf sechs Aspekte, die zu einer gesunden Entwicklung für Kinder im Umgang mit Gewalt beitragen können.

1.Eine innere Nein-Haltung zur Gewalt

  • Wir übergehen Gewalt bei unseren Kindern nicht, sondern machen sie auf angemessene Weise zum Thema - auch in punkto der Lautstärke.
  • Wir konfrontieren das Kind nicht erst auf „Stufe 4" damit, wenn es andere schlägt. Oft beginnt es bei den ganz kleinen Dingen, beispielsweise mit Worten aus der Fäkalsprache!

Beispiel:
„Ruedi dieser Schlag hat mir wehgetan! Das akzeptiere ich nicht so! Ich möchte jetzt für 5 Minuten für mich allein sein! Geh in Dein Zimmer!"

 
Kein Frust
2. Gefühle sind okay. Wie ich sie ausdrücke, ist entscheidend.

Mit Aussagen wie „Ich bin wütend" und „Ich hasse Dich!" verschafft sich ein Kind ein Überdruckventil für seine Aggression. Wir sollten das zulassen. Solche Sätze dürfen fallen!

Beispiel:
„Ruedi, gestern war ich wütend auf die Person X. Eigentlich war ich aber traurig, weil jemand anders mich sitzen gelassen hat und sich nicht an sein Versprechen gehalten hat. Könnte es ähnlich gewesen sein bei Dir?"

3. Das Kind nicht allein in seinem Frust lassen
Als Eltern sagen wir ja zur momentanen Überforderung des Kindes, mit einem Problem fertig zu werden.

Beispiel:
„Ruedi, ich verstehe Deine Gefühle, so ist es mir auch schon ergangen. Deine Art, wie Du reagiert hast, war für mich schwierig, und wenn Du das bei andern so machst, handelst Du dir Schwierigkeiten ein. Wollen wir miteinander besprechen, wie Du das anders lösen könntest?

4. Konstruktive Alternativen
Wir erarbeiten mit dem Kinde Alternativen, wie es in dieser Situation reagieren könnte. Wir fördern Multioptionalität: Ich habe verschiedene Möglichkeiten, wie ich in einer Situation reagieren kann.

Beispiel: Eltern
„Komm, wir gehen nochmals zurück in die Situation. Du kommst nach Hause und Du spürst den Ärger, deine Wut im Bauch! Was könntest Du jetzt tun?

Mögliche Ansätze des Kindes

„Ich erzähle was ich erlebt habe!"
„Ich will nicht darüber reden, aber ich möchte jetzt am liebsten alles kurz und klein schlagen!"

Eltern
Konstruktive Frustventile suchen und finden.

Kind
„Ich will jetzt nicht darüber reden, wenn ich das dann doch will, dann komme ich zu dir!"

Eltern
Versprechen aushandeln, dass das Kind in der Zwischenzeit nicht gegen sich, andere oder Material aggressiv wird.

Kind
„Ich könnte weinen und brüllen!"

Eltern
"Mach das; das ist in Ordnung."

5. Schweigen können
Wenn sich das Kind gar nicht öffnen will, sind wir als Eltern gefordert, auf das zu hören, was das Kind NICHT sagt.

Eltern
„Ich lasse Dich im Moment für Dich allein, innerlich bin ich bei Dir. Du kannst jederzeit kommen, wenn Du mit mir sprechen willst."

6. Nachhaltigkeit heisst: üben und dranbleiben
Beispiel:
Ruedi, gestern hatten wir ein Gespräch zusammen. Wie ist es Dir heute ergangen? Sind dir die Sachen etwas besser gelungen?

Oft handeln wir in schwierigen pädagogischen Situationen zu schnell. Wir sind dann froh, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat, und wir zur nächsten Beschäftigung weitergehen können. Doch die nächste schwierige Situation kommt mit Sicherheit, und wir haben aus der grade vergangenen kaum Lehren gezogen. Stattdessen können wir die beruhigte Situation nutzen, um vorbeugend zu wirken.

Bearbeitung: Lebenshilfe-net.ch, Lothar Mack

Autor: Christian Mantel

 
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