Gibt es überhaupt eine Midlife-Crisis?Die berühmt berüchtigte „Midlife-Crisis“ gibt es laut neueren entwicklungspsychologischen Erkenntnissen nur selten. Der Pastoraltheologe Peter Abel spricht davon, dass sich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene in einem „permanenten Umbau“ befinden. Insbesondere zwischen dem 40. und 50. Geburtstag treten allmähliche, fast unmerkliche Wandlungsprozesse auf, die das bisherige Selbstverständnis langsam unterhöhlen können. Ein nicht ungefährlicher Prozess, kommen doch bisherige Sicherheiten ins Rutschen. Kevin Spacey, Held des Kinofilmes „American Beauty“, wird in der Lebensmitte von seiner Firma nicht mehr benötigt. Er gibt sein spiessiges Erwachsenenleben auf und pubertiert mittels Bodybuilding zum ewigen „Jungmann“. Das Familienleben entgleist. Das Projekt Lebensmitte kann auch scheitern. Im Film geht es tödlich aus. Angst vor Veränderungen In der Tat stehen körperliche, seelische und geistliche Veränderungen an. Die hormonellen Umstellungen im weiblichen Körper sind bekannt. Aber auch die männlichen Hormone sollen Veränderungen auslösen. Das zunehmend graue Haar und die bleibenden Falten betreffen beide Geschlechter gleichermassen. Die Körperkräfte lassen allmählich nach. Eine vierstündige Wanderung, die bisher nur durstig machte, schleicht sich nun in die Knochen. Der Sohn überholt den Vater, die Tochter ihre Mutter. Neben körperlichen Anzeichen meldet sich auch die Seele in neuer Weise. Eine innere Unruhe macht sich breit. Mit den bisherigen Lebensentscheidungen wurden Weichen gestellt. In der nächsten Lebensphase stehen nicht mehr alle Optionen offen.
Wofür brenne ich? „Opfere dein Leben nicht für die Firma“, hat der Wirtschaftsprofessor Fred Malik einmal sinngemäss geschrieben, – „sie kann es dir nie zurückgeben“. Glücklich der Mensch, der sein Leben für Gottes Sache hingeben kann. Solcher Gottesdienst ist wahrlich eine vernünftige Sache. Das Brennen der Kerze kann im fünften Lebensjahrzehnt oft zum Ausbrennen ausarten. Als ich vor einigen Jahren in einer Zeitung einen Artikel über die Symptome des „Burnouts“ las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Hier wurde mein eigenes Empfinden beschrieben. Im Rudel von Ansprüchen und Aufträgen hatte ich kaum noch Ruhe gefunden. Ich steckte in einem Korsett, dem ich aus eigener Kraft nicht mehr entkommen konnte. In unserer Dienstzweierschaft als VBG-Leitung konnte dies nicht verborgen bleiben. Das feinfühlige Echo meines Leitungspartners, aber auch die rasche Reaktion des Arbeitgebers bewahrten mich vor einem akuten Burnout. „Ein grosser Anteil dessen, was wir als Burnout benennen, kann auf die Proteste der Seele zurückgeführt werden, deren Sehnsüchte nach Berufung zu lange vernachlässigt wurden, oder unterdrückt oder verletzt,“ erklärt der Religionspsychologe James Fowler. „Die wahre Leere kommt von der Entdeckung, dass die Strategie, uns nur in uns selbst zu gründen, eine unangemessene Basis für unser Leben ist“. Worauf gründet das Leben? Die Flucht vor sich selbst Obwohl uns die Werbung etwas anderes einflüstern mag: die Orientierung am Outfit der Jugendkultur wirkt bei Fünfzigjährigen komisch. Ein schickes Paar Marken-Turnschuhe macht um kein Jährchen jünger. Der weibliche Aufwand zum Eintauchen in den Jungbrunnen bleibe hier unkommentiert. Schliesslich soll er Männern Eindruck machen. Diese wiederum angeln sich in dieser Phase mit Vorliebe eine jüngere Frau, die ihre Tochter sein könnte. Das ist nicht nur unangemessen, sondern auch missbräuchlich. Sich in die Arbeit zu stürzen, verschiebt die notwendigen Fragen auf später, im Extremfall bis zum Zeitpunkt, wo sich diese erübrigen. Vielleicht betritt man jetzt zum ersten Mal die Wüste der Gottesferne. Das Festhalten an überlebten Gottesbildern hilft nicht weiter. Sie können das Leben nicht mehr prägen, wirken unglaubwürdig und drohen früher oder später zum Absturz des Glaubens zu führen. Es geht um den Kern
„Meide immer deine Leistungsspitze“, rät der deutsche Aussenminister Joschka Fischer nach seiner Midlife-Crisis, fügt aber sofort hinzu: „Gib niemals auf“. Dieses Nicht-Aufgeben hat nun einen neuen Rahmen. Er wird gezogen durch die Lebensberufung innerhalb realistischer Grenzen. Mancher Mensch entdeckt in der Lebensmitte, „wie er oder sie zu stottern anfängt, wenn er vom Göttlichen redet“. Ganz werden Laut dem Johannes-Evangelium der Bibel wollen der Vater und der Sohn durch den Heiligen Geist in uns Wohnung nehmen. Ein Christ, eine Christin findet deshalb auf dem Weg nach innen nicht nur den eigenen Kern, sondern darüber hinaus den innewohnenden Christus. Die zweite Lebenshälfte soll der Kultivierung des Lebens dienen. „Damit ist die Aufgabe verbunden, sich mehr von der Aussenwelt ab- und der eigenen Innenwelt zuzuwenden“. Ungelebtes entdecken Auf diese Weise verfalle man dem bisher Ungelebten und verdränge das bisher Gelebte. Es gehe um eine „Erhaltung der früheren Werte zusammen mit einer Anerkennung ihres Gegenteils“. Bei Männern heisst das laut Grün etwa, die bisher verdrängten weiblichen Seiten zuzulassen (bei Frauen entsprechend die männlichen Aspekte). „Gibt der Mann seine weiblichen Züge, also seine Gefühle, das Schöpferische und Weiche in sich nicht zu, so projiziert er es auf Frauen, die ihn dann faszinieren“. Der Mann soll sich in der zweiten Lebenshälfte „eingestehen und bejahen, dass er all das, was ihn an der Frau so anzieht, in sich selbst trägt“. Es geht um die bewusste Entfaltung der Gefühlskräfte, der musischen und künstlerischen Seiten, die jeder in sich trägt, schreibt Grün. Diese Auseinandersetzung mit dem Unbewussten ist nicht ungefährlich, sie braucht einen Schutz. Laut C.G. Jung ist dies die Religion. „Die Religion gewährt dem Mann die Geborgenheit, die er bei der Mutter sucht, führt ihn aber zugleich aus der infantilen Bindung an seine Mutter hinaus“. Einfacher gesagt: Gott ist immer schon da. Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hand. Hier finde ich immer wieder Ruhe, mitten im Sturm des Lebens. Intime Zeiten mit Gott helfen, die wahre Mitte des Lebens“ – den innewohnenden Christus – zu finden. Erfahrungen weitergeben
Die letzte Grenze Sehnsucht darf nun bewusst zugelassen werden. Sie deutet an, dass nicht aller Tage Abend ist. Schliesslich gilt für Christen unabhängig vom Lebensalter: Das Beste kommt noch. Beim bewussten Sich-vertraut-Machen mit der eigenen Sterblichkeit hilft dem entsprechend die Glaubensgewissheit, dass mit dem innewohnenden Christus das ewige Leben schon jetzt da ist. Artikel zum Thema: Lebensmitte als Chance nutzen | ||||||||||||||||||||||||||||||||
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