Glaube künstlerisch leben

 
Seit jeher hat sich Glaube
Seit jeher hat sich Glaube künstlerisch geäussert.
Kann zeitgenössische Kunst in den Dienst des Evangeliums gestellt werden? Wie können unterschiedliche Sichten von Kirchenleuten und Kunstschaffenden für die Kirchen fruchtbar werden? Der Theologe und Historiker Beat Rink gibt interessante Anregungen.

Seit jeher hat sich Glaube künstlerisch geäussert: in Musik und in Sakralbauten, in Dichtung und in bildender Kunst, in Theaterstücken oder – in unserer Zeit – im Film. Ob es immer der persönliche Glaube des Künstlers war oder der eines finanzkräftigen Auftraggebers im Hintergrund, lässt sich vom Kunstwerk selber nicht unbedingt rückschliessen. Für dessen Beurteilung ist dies übrigens unerheblich, gehört es doch zum Wesen eines Kunstwerks, dass es, von seinem Schöpfer einmal für gut befunden, diesen hinter sich zurücklässt und sozusagen ein Eigenleben beginnt.

Und dennoch ist es erlaubt, mit biografischem Interesse Zusammenhänge zwischen dem Glauben eines Künstlers und dessen Werk zu suchen; viele Kunstwerke weisen ja unmissverständlich auf den Glauben ihres „Schöpfers“ zurück. Deshalb liegt die Frage auf der Hand: Wie kann man Glauben künstlerisch gestalten? Wie kann ein Glaubender, der in sich ein kreatives Potenzial entdeckt, seiner Gottesbeziehung künstlerisch Ausdruck verleihen?

Leider müssen wir, um den schillernden Begriff „christliche Kunst“ zu vermeiden, die etwas umständliche Wendung „Kunst eines Christen“ bemühen. Dieser Ausdruck lässt immerhin offen, ob im Kunstwerk eindeutige christliche Zeichen gesetzt werden oder ob das Christliche eher atmosphärisch erfahrbar wird.

Ich möchte im Folgenden drei Aspekte ansprechen:

1. Kunst eines Christen entsteht ohne dogmatischen Druck
Gute Kunst eines Christen entsteht ohne „dogmatischen Druck“, ist aber von „geglaubter Lehre“ bewegt. Gegen nichts ist heutige Kunst empfindlicher als gegen „Lehre“. So war etwa Berthold Brecht der letzte grosse Didaktiker unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Nicht zufälligerweise hat er den Ton der Lutherbibel und der alten Kirchengesänge so geschätzt!

Dies wirft für den christlichen Künstler ein grundsätzliches Problem auf: Der Glaube wird bekanntlich durch „Lehre“ vermittelt. Auch der christliche Künstler zehrt von guter Lehre – hoffentlich! Doch wie geht er mit diesem Konflikt zwischen heutiger, lehr-kritischer Kunst und dem Schatz der christlichen Lehre um? hervorzubringen. Das Mittelalter und noch die frühe Neuzeit waren schliesslich voll davon! Zum anderen sollte er sich dazu entschliessen, authentisch zu schaffen. Was er schöpft, muss von innen kommen; es muss gelebte und nicht bloss gewusste Lehre sein.

Ringen um Authentizität – dies ist eines der wichtigsten Werte moderner Kunst und sie dürfte getrost in einen noch zu erstellenden „Wertekatalog christlicher Ästhetik“ Eingang finden. Authentizität und christliche Lehre gehen ja problemlos zusammen, weil der Glaube gerade die persönliche Aneignung der biblischen Botschaft meint.

Allerdings begehrten „authentische Künstler“ seit jeher gegen alle Versuche theologischer Bevormundung und gegen religiösen Druck auf. Dies zuweilen mit einer Vehemenz, die auch die öffentliche Meinung gegen die Kirche einnahm, welche nun ihrerseits „subversive Künstler“ angriff. Unter solchen Zerwürfnissen zwischen Kunst und Kirche leiden wir noch heute. Findet aber ein Künstler, beheimatet in einer ihn freisetzenden Glaubensgemeinschaft, zu eigenen, authentischen Ausdrucksweisen seines „Credos“, kann er gerade der Kirche einen besonderen Dienst erweisen.

 
Beat Rink
Beat Rink
Warum? Weil er mit seiner Kunst oft den innersten Kern der Lehre freilegt, indem er etwa gewohnte Form Schalen aufsprengt. So hat die englische Kriminalroman-Autorin Dorothy Sayers (1893-1957) mit ihrer unkonventionellen BBC Hörspielreihe über Jesus („Zum König geboren“) bei vielen Begeisterung und neuen Glauben geweckt, die der kirchlichen Verkündigung müde geworden waren. Einigen religiösen Gemütern war sie jedoch zu undogmatisch.

2. Die Kunst eines Christen zielt nach hoher Qualität
Ästhetische Qualität und christliches Zeugnis schliessen sich nicht aus – entgegen der Empfehlung von Zinzendorf: „Es ist ein falsches Principium, dass Lieder müssen schön geschrieben seyn, da kan nichts ins herz kommen“. Glücklicherweise hat Zinzendorf diesen Satz durch seine eigenen, schönen Lieder widerlegt!

Gerade in Kirchen pietistischer und reformierter Tradition fristet nun aber die Kunst aus verschiedensten Gründen ein gewisses Schattendasein. Ein Grund dafür besteht wohl darin, dass das Schattendasein vor dem Rampenlicht schützt, das man in der Kirche nur ungern auf einen Künstler richtet. Diese Vorsicht ist begründet; denn wie schnell kann das „Soli Deo Gloria“ auch in einer Kirche dem Starkult weichen!

Aber Fehlentwicklungen dieser Art zeigen an, dass künstlerisch hochwertiges Schaffen nicht mehr zu den selbstverständlichen Diensten in der Kirche gehört, so selbstverständlich und unspektakulär wie das Halten einer Sonntagsschule oder einer Bibelstunde.

Dass in kirchlichen Kreisen oft zweitklassige Maler, Dichter oder Musiker als „grosse Stars“ verkauft werden, macht die Sache für die erstrangigen Kunstschaffenden nicht leichter. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist daran schuld: Die „romantische“ Meinung, künstlerische Qualität lasse sich am Grad der emotionalen und erbaulichen Wirkung messen und bedürfe keines fachmännischen Urteils, geschweige denn eines höheren Niveaus. Zinzendorf lässt grüssen!

Ich weiss von einer Reihe von Künstlern, die unter solchen Zerreissproben leiden und in Gefahr sind, entweder dem Glauben oder der Kunst den Rücken zu kehren. Aber eine Gemeinde, die biblisch genug ist, die Fähigkeiten ihrer Künstler nach Kräften zu fördern – wie es einst die Israeliten mit ihren Tempel-Künstlern taten, eine Gemeinde, die qualitativ hochstehende Kunst nicht nur duldet, sondern unterstützt (warum nicht auch finanziell?), wird bald Früchte ernten: Sie wird erfahren, wie weitere Bevölkerungskreise auf sie aufmerksam werden und über die Brücke der Kunst den Zugang zum Glauben finden.

3. Die Kunst eines Christen ist diskursfähig
 
Arvo Pärt.
Arvo Pärt.
Kürzlich war ich bei einem Komponisten zu Gast, der wunderschöne Lieder in der Manier Schuberts schreibt. Leider werden diese Kompositionen kaum beachtet, weil sie in höchstem Mass unzeitgemäss sind und sich nicht am „Diskurs“ heutiger Kunstschaffender beteiligen. Unter „Diskurs“ verstehe ich in diesem Zusammenhang die „stilistisch-künstlerische Kommunikationssprache einer Zeit“. Dieser Begriff – und die dahinter stehende Sache – hat zweifellos seine Tücken (Stichworte: modernes Stildiktat, postmoderne Stilvielfalt).

Trotzdem möchte ich ihn behelfsmässig gebrauchen, um Folgendes zu empfehlen: Der christliche Künstler sollte am „Kunst-Diskurs“ seiner Zeit teilhaben. Er sollte ihn wenigstens zur Kenntnis nehmen und mit seinem Werk darauf reagieren: vielleicht als Oppositioneller, vielleicht aber auch als Lernender – oder als beides. Schon um des Evangeliums willen sollte er sich fragen: Wie kann ich mich in den heutigen Diskurs einmischen? Kann ich etwa, um ein simples Beispiel anzuführen, als Architekt die neuesten Materialien und Bauweisen nutzen? Oder: Wo Lehrmeister der letzten Jahrzehnte, die mir eine Formsprache nahe legen, die mir entspricht, und die mich zugleich vor einem Rückfall in archaische Zeiten bewahrt?

Das Thema müsste lange und am besten interdisziplinär mit Choreografen und Bildhauern, mit Musikern und Filmregisseuren und andern Künstlern diskutiert werden: „Wo bestehen Chancen und Grenzen einer christlichen Teilnahme am Kunst-Diskurs?“. Erfreulich ist, dass es viel gute Kunst von Christen gibt, die zeitgemäss und doch sehr eigenständig einher kommt, die den gegenwärtigen Diskurs aufnimmt und doch nicht jedem Modetrend erliegt. Es gibt in der zeitgenössischen Kunst gar Stilzüge, die dem christlichen Anliegen entgegenkommen.

Besonders in der sakralen Kunst wird dies aufgenommen; ein schlicht gestalteter Kirchenraum wie der Felsendom in Helsinki gehört zu den grossen Kunstwerken unserer Zeit! Ebenso die meditative Musik eines Arvo Pärt. Und dürfen wir dann nicht umgekehrt auch hoffen, dass Christen den kulturellen Diskurs aktiv mitgestalten und durch eigene Stilelemente und thematische Akzente bereichern? Gerade in der Musikerarbeit erlebte ich schon manche Momente „geistgeleiteter Improvisation“, die jeden Diskurs-erprobten Kulturschaffenden hätten aufhorchen lassen.

Dass immer mehr Christen mit guten Werken das „innerkirchliche“ Gespräch anregen und sich mit guter Kunst, die ihre Gottesbeziehung widerspiegelt, in den öffentlichen Diskurs einbringen, ermutigt.

Autor: Beat Rink
Quelle: Bausteine/VBG

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