Aufklärung in der Familie

 
Aufkärung
Endlich hat sich der Vater dazu durchgerungen, seinem zwölfjährigen Sohn eine Aufklärungsstunde zu erteilen. Vorsichtig setzt er an: ,,Also, ich glaube, es ist an der Zeit, mit dir über Sex zu sprechen." Darauf der Sohn: „Okay, Papa, was willst du wissen?"

Natürlich warten Eltern heute nicht mehr so lange, bis sie auf das Thema Nr. 1 zu sprechen kommen. Schliesslich wollen sie die Verantwortung für die Aufklärung nicht anderen überlassen. Die Geschichten vom Klapperstorch, den Bienen und den Blümchen sind längst out. Aufgeklärte Eltern wünschen sich gut informierte Kinder. Mehr als das: Sie wollen alles richtig machen.

Das Thema offen angehen
Sexualerziehung besitzt einen hohen Stellenwert. Aber spätestens dann, wenn die lieben Kleinen mit Fragen rausrücken, die ihren Eltern rote Ohren machen oder unter dem Bett der „schwierigen Teenager" Verhütungsmittel entdeckt werden, macht sich grosse Unsicherheit breit.

Durch die Kinder werden Väter und Mütter mit ihrer eigenen Einstellung zur Sexualität konfrontiert. Sie spüren, wie sehr sich ihr Umgang mit Sexualität auf ihre Kinder auswirkt. Diese bekommen als scharfe Beobachter nämlich genau mit, wenn ihre Eltern selbst mit Hemmungen, Ängsten und Unsicherheiten zu tun haben.

Eigene Prägungen und Fehlprägungen werden häufig ungewollt an die Kinder weitergegeben. Hier kommen acht Tipps, wie Eltern ihrem Auftrag zur Sexualerziehung gerecht werden können:

1.Denken Sie über Ihre eigene Einstellung zur Sexualität nach

Was hat Sie geprägt? Wie sehr ist das Thema Sex mit negativen Eindrücken aus Ihrer Kindheit belastet? Wenn in Ihrer Herkunftsfamilie aus falsch verstandener Scham über diesen Bereich geschwiegen wurde, werden Sie sich heute schwer tun, mit Ihren Kindern offen über alles zu reden.

Haben Sie gelernt, über eigene Gefühle und Wünsche zu sprechen? Welche Haltung zum eigenen Körper wurde vermittelt? Wenn Sie selbst kein unbeschwertes Verhältnis zur Sexualität vermittelt bekamen, werden Sie sich heute manchmal ganz schön hilflos fühlen, wenn es in der Familie um intime Themen geht.

Andererseits können Sie gut weitergeben, was Sie selbst positiv an Gutem erlebt haben. Stehen Sie zu dem, was Sie geprägt hat. Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Ehepartner oder guten Freunden als Übungsfeld, um über alle sexuellen Themen offen sprechen zu lernen.

2. Praktizieren Sie Sexualerziehung
Beim Thema Aufklärung geht es nicht in erster Linie um Unterrichtsstunden in Sachen Sex, die nur dann auf dem Erziehungs-Stundenplan stehen, wenn akute Fragen auftauchen. Sexualerziehung ist ein Prozess. Sexualerziehung beginnt mit der Geburt Ihres Kindes und endet mit seinen selbständigen Schritten ins Erwachsenenleben.

Über sexuelle Themen zu sprechen ist wichtig. Aber entscheidend ist, was Sie tun und vorleben. Geben Sie Anschauungsunterricht in Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und Sexualität. Natürlich nicht, indem Sie Ihre Kinder als Zaungäste beim Liebesspiel einladen. Aber indem Sie Ihnen zeigen, dass Sie sich als Eltern wirklich lieben.

Wer seine Eltern als zärtlich Liebende erlebt, wird lernen, dass Liebe und Sexualität zusammengehören. Die positiv vorgelebte Partnerschaft der Eltern ist im besten Sinne Sexualerziehung. Kinder lernen am Modell ihrer Eltern, was Mannsein und Frausein bedeutet, und gewinnen so ein Gefühl für ihre eigene geschlechtliche Identität.

3. Überwinden Sie Ihre Sprachbarrieren
Es fällt nicht gerade leicht, die richtigen Worte für das zu finden, was mit Sex zu tun hat. Medizinische Fachbegriffe klingen kalt und technisiert. Vulgärausdrücke beschreiben Sexualität sehr derb und drastisch direkt. Bemühen Sie sich um eine Sprache, die Ihnen und Ihren Kindern gerecht wird und die Sachinformationen und Gefühle gleichermassen weitergibt.

Bereiten Sie sich frühzeitig auf wissensdurstige Fragen vor. Greifen Sie auf Bücher zurück, die kindgerechte Informationen enthalten. Machen Sie wegen falsch verstandenen Schamgefühlen aus der Sexualität kein Tabuthema. Sie dürfen offen über alles reden.

4. Seien Sie ehrlich und echt
Ihr Kind wird genau spüren, wo Sie unsicher sind. Sprechen Sie deshalb ehrlich aus, wenn Sie sich gehemmt fühlen. Zum Beispiel: „In meinem Elternhaus wurde nie über Sex gesprochen. Meinen Eltern war es peinlich. Ich merke, wie es mir heute manchmal sehr schwer fällt, ungezwungen darüber zu reden!"

Sie müssen nicht auf jede Frage eine perfekte Antwort geben, aber Ihre Gesprächsbereitschaft signalisieren. Wenn Eltern bereit sind, eigene Probleme aus ihrer Kindheit und Jugend den Heranwachsenden zu berichten, schafft das ein Klima der Offenheit und des wechselseitigen Vertrauens.

Ein Vater, der seinem zwölfjährigen Sohn davon erzählt, wie er früher unter Schuldgefühlen litt, weil er Selbstbefriedigung praktizierte, ermutigt seinen Sohn, sich an ihn zu wenden, wenn er diesbezüglich mit Problemen zu kämpfen hat.

5. Orientieren Sie Ihre Antwort an der gestellten Frage
Eltern können in ihrem aufklärerischen Eifer dazu neigen, umfassende Erklärungen weiterzugeben, die weit über die gestellte Frage hinausreichen. Beantworten Sie möglichst konkret die gestellte Frage. Durch die Rückfrage „Ist deine Frage damit beantwortet?" versichern Sie sich, ob Ihr Kind damit zufrieden ist.

Kinder im Vorschulalter benötigen keine Biologiestunde über alle Einzelheiten der Fortpflanzung, wenn sie wissen wollen, wie ein Baby in Mamas Bauch kommt. Einfache, klare und für das Kind nachvollziehbare Antworten stillen seinen Wissensdurst.

6. Ziehen und achten Sie Grenzen!
Setzen Sie als Eltern Grenzsteine zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität. Ihre Kinder brauchen diese Grenzen, um daran zu reifen. Elterliche Liebe zum Kind und erotische Liebe zum Partner müssen deutlich getrennt bleiben.

Wenn die Eltern beispielsweise mit ihren kleinen Kindern baden, ist das völlig in Ordnung. Wollen aber die Kleinen an den Geschlechtsorganen ihrer Eltern spielen, so ist die Grenze überschritten und eindeutige Abgrenzung geboten. Achten Sie sorgsam die Schamgrenzen Ihrer Kinder und hüten Sie sich vor Bloßstellungen jeder Art.

Fordern Sie niemals gegen den Willen des Kindes körperliche Nähe ein. Das Kind muss weder Tante Frieda noch Opa Paul ein Küsschen geben, wenn es nicht will. Schliesst es die Badezimmertür ab, muss das respektiert werden. Indem Sie die Schamgrenzen Ihres Kindes achten, lernt es die Intimsphäre anderer zu respektieren.

7. Klären Sie lieber früher auf als zu spät
Warten Sie nicht bis zum Aufklärungsunterricht in der Schule. Sprechen Sie schon von klein auf geschlechtliche Themen an. Ihre Tochter sollte von Ihnen nicht erst bei der ersten Monatsblutung über den weiblichen Zyklus unterrichtet werden, sondern schon viel früher alles Wichtige darüber von Ihnen erfahren haben.

Letztlich geht es nicht um die Frage, zu welchem Zeitpunkt Aufklärung angesagt ist, sondern wie das offene Gespräch über sexuelle Themen Ihre gesamte Erziehungsarbeit begleiten kann.

8. Machen Sie Ihr Kind stark!
Wenn Sie Ihr Kind so annehmen, wie es ist, mit Stärken und Schwächen, machen Sie ihm Mut. Ermutigte Kinder gehen mutig durchs Leben. Ein Kind, das häufig von Mutter oder Vater beschämt, korrigiert, zurechtgewiesen und kritisiert wurde, wird an seinem Selbstwert zweifeln.

Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu, glauben Sie an seine Fähigkeiten. So gewinnt es das nötige Selbstvertrauen zum Schutz vor sexuellen Übergriffen. Es hat gelernt, nein zu sagen, und kann sich gegenüber anderen deutlich abgrenzen. Ihre Familie ist das Trainingslager, in dem Ihr Kind die Liebes- und Beziehungsfähigkeit vermittelt bekommt, die es für sein Leben brauchen wird.


Buchtipp
Matthias Hipler: Tausend und eine Nacht. Sexualität und Erotik in der Partnerschaft, Brendow-Verlag, Moers.

Autor: Matthias Hipler, Familientherapeut

Bearbeitung: Lebenshilfe-net.ch


Quelle: Neues Leben. Ratgeber-Magazin

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