Therapieprogramme für übergewichtige Kinder (Teil 1)Die Folgen wiegen schwer, denn Adipositas im Kindesalter ist nicht nur ein Risikofaktor für das Fortbestehen der Adipositas beim Erwachsenen, sondern hat auch vielfältige akute Auswirkungen auf Gesundheit, Psyche und soziale Integration. Deshalb sind effiziente Behandlungskonzepte dringend erforderlich. „Wir können es uns nicht länger leisten, ... Anstrengungen für die Prävention und Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter zu unterlassen“, konstatiert die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) (2), und führte eine Umfrage durch, um das bestehende Therapieangebot für übergewichtige und adipöse Kinder in Deutschland strukturiert zu erfassen. Dabei zeigte sich, dass von den 177 Institutionen, die eine Therapie anboten, nur 15 % Daten zur Evaluation vorlegen konnten (3). Und nur etwa ¼ der Programme orientierte sich an den von der AGA empfohlenen Leitlinien, so Dr. Reinehr, der die Umfrage betreut hat (4). In diesen Leitlinien sind folgende Therapieziele festgelegt: Dazu sind langfristige therapeutische Maßnahmen erforderlich, die neben der Wissensvermittlung die dauerhafte Änderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens erreichen.BeimPatienten Problembewusstsein zu schaffen, Motivation zu steigern, neue Verhaltensweisen zu festigen, Selbstkontrolle zu schulen und Rückfallverhütungsstrategien zu erarbeiten sind dabei wichtige Eckpfeiler. Dies stellt an Therapieprogramme bestimmte Anforderungen: Sie sollten die Bereiche Medizin, Ernährung, Bewegung und Sport umfassen, von einem interdisziplinär zusammengesetzten Schulungsteam vermittelt werden und die Eltern bzw. Bezugspersonen integrieren (5). In der Konsensusgruppe Adipositasschulung (KGAS) der AGA wurde ein entsprechendes Rahmenkonzept für die ambulante und stationäre Schulung erarbeitet, das in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und dem aid-infodienst ab 2004 publiziert werden wird (6). Im Folgenden werden einige bereits bestehende ambulante Adipositasprogramme für Kinder und Jugendliche vorgestellt. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Struktur, sondern auch in der Art der Evaluation und der Darstellung des Behandlungserfolgs. Hier wird der Standard Deviation Score (SDS) des Bodymass-Indexes (BMI) empfohlen, der alters- und geschlechtsunabhängig ist (7) (vgl. DGE-info 5/2003, Beratungspraxis ). FITOC FITOC richtet sich an 8- bis 11-jährige Kinder, deren Gewicht über der 97. BMI-Perzentile liegt. Nach einer ausführlichen medizinischen Eingangsuntersuchung und Anamnese nehmen die Kinder an dem 1-jährigen Schulungsprogramm teil, das sich in eine 8-monatige Intensivphase und eine 4-monatige Überwachungsphase gliedert. Die Gruppen mit je 15 Kindern treffen sich in der Intensivphase 3-mal wöchentlich. Je 1 Stunde Sport unter fachlicher Leitung steht dann auf dem Programm, die von Gesprächen mit Ernährungsfachkräften, Psychologen oder einem Arzt begleitet werden. Ergänzend kommen 7 Kinderkochnachmittage und individuelle Termine zur Ernährungs- sowie psychologischer oder medizinischer Beratung hinzu. Als Basis der Ernährungstherapie wird eine ausgewogene Mischkost mit 1600 kcal zu Grunde gelegt. Die Eltern sind mit 7 Elternabenden in das Programm eingebunden. In der anschließenden Überwachungsphase, die 4 Monate oder länger dauern kann, reduziert sich das Sportangebot und die damit verbundenen sportbegleitenden Gespräche auf 2 Treffen pro Woche. Kontrolluntersuchungen finden am Ende der Intensivphase, nach 1 Jahr, nach 11/2 und nach 2 Jahren statt; weitere Kontrollen bis zu 5 Jahren werden angeboten. Vor 3 Jahren wurde das FITOC-Angebot um FITOC-Maxi, ein ambulantes Programm für 12- bis 16-Jährige erweitert. FITOC- Mini richtet sich an Kinder unter 8 Jahren und läuft zurzeit in Freiburg als Modellprojekt. Knapp 1500 Euro kostet FITOC als Kassenanteil. Die Eltern bezahlen selbst 300 Euro für 1 Jahr. Die Erstattung durch die Krankenkasse wird jedoch unterschiedlich gehandhabt und über eine generelle Kostenübernahme „laufen zurzeit Verhandlungen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen“, so Frau Dr. Ulrike Korsten-Reck, die Verantwortliche für FITOC (8). Was die Erfolge betrifft, so konnten von 364 Kindern, die an der Eingangsuntersuchung teilgenommen haben, 71,3 % nach der intensiven Phase den BMI-SDS verringern. Von einer Gruppe mit 238 Kindern hatten 27,7 % nach 3,1 Jahren einen niedrigeren BMI-SDS als zur Eingangsuntersuchung (9). Adresse:
MOBY DICK Größe, Gewicht und Körperzusammensetzung werden zu Beginn des Trainings, nach einem halben Jahr und am Ende des Programms festgestellt und fremdevaluiert. Dabei zeigten Ergebnisse bei 108 Jungen und Mädchen, dass 72 % den BMI-SDS-Wert nach Ende der Maßnahme reduzieren konnten. Lebensqualität, Ernährungs- und Freizeitgewohnheiten werden mittels Fragebögen überprüft, die das Institut für Medizinische Psychologie der Universität Hamburg zurzeit auswertet. Inwieweit übergewichtige Klein- und Kindergartenkinder durch „Moby Dick“ betreut werden können, wird derzeit im Rahmen einer Mutter-Kind-Gruppe als Modellprojekt untersucht. Das Programm kostet monatlich 103 Euro. Die Eltern treten in Vorleistung und bekommen nach Abgabe der monatlichen Bescheinigung über die Teilnahme oft einen Teil der Kosten von ihrer Krankenkasse erstattet. Die Erstattung wird jedoch bundesweit sehr unterschiedlich gehandhabt (10, 11). Adresse: OBELDICKS Innerhalb des einjährigen Programms werden die Kinder und Jugendlichen altersspezifisch und die Jugendlichen zusätzlich geschlechtsspezifisch in Gruppen aufgeteilt. Betreut werden sie von einem interdisziplinären Team aus Kinderärzten, Diätassistentinnen/ Ökotrophologinnen, Psychologen, Motopäden und Sportlehrern. Am Anfang steht eine pädagogisch-endokrinologische Basisuntersuchung. In der 3-monatigen Intensivphase wird die Motivation verstärkt, Selbstbewusstsein gesteigert und Wissen zur Genese und zu Behandlungsmöglichkeiten der Adipositas vermittelt. Gemeinsames Kochen, Ernährungs- und Verhaltensschulung stehen einmal wöchentlich auf dem Programm. Ebenso treffen sich die Eltern in dieser Phase einmal wöchentlich zur Ernährungs- und Verhaltensschulung. In der anschließenden 6-monatigen Etablierungsphase wird durch individuelle psychologische Beratung der Familie und Elterngesprächskreise den übergewichtigen Kindern und ihren Familien Hilfe zur Selbsthilfe gegeben. Zunehmend wird die Betreuung gelockert, kann jedoch bei „Krisen“ sofort wieder intensiviert werden. Das ist auch in der letzte Phase, der so genannten betreuten Entlassung, möglich. Während der gesamten Schulungsdauer treffen sich die Kinder einmal wöchentlich zu einem Sportprogramm mit psychomotorischen Elementen. Der Ernährungstherapie liegt die optimierte Mischkost des Forschungsinstituts für Kinderernährung zu Grunde. Mit Hilfe eines Ampelsystems werden die Lebensmittel grünen (z. B. Obst, Gemüse, Tee), gelben und roten Bereichen (fettreiche Lebensmittel und süße Getränke) zugeordnet. Programmbegleitend finden vierteljährlich ärztliche Kontrolluntersuchungen statt. Daneben werden Gesundheitsverhalten und Lebensqualität mittels Fragebögen und Ernährungsprotokollen erfasst. Eine halbjährliche Verlaufsbeobachtung aller Kinder über 5 Jahre ist geplant. Eine Untersuchung der Daten von 54 Kindern und Jugendlichen zeigte, dass 69 % nach Ende des Schulungsprogramms ihr Übergewicht um mehr als 5 % reduziert hatten (im Mittel um 13 %, entsprechend BMI-SDS-Abnahme im Mittel von 0,4) (12). Nach aktuelleren Daten hatten 74 % der Kinder Erfolg. 1 Jahr nach Schulungsende waren ebenso wie 3 Jahre danach noch 64 % erfolgreich (13). Auch für 5- bis 7-Jährige wird ein Kurs angeboten. Die Kinder treffen sich einmal wöchentlich zur Bewegungstherapie über 1 Jahr, der Ernährungs- und Essverhaltenskurs finden 16 mal je 1½ Stunden ausschließlich mit den Müttern statt. Das Ausmaß der Gewichtsreduktion ist bei dieser Gruppe doppelt so gut wie bei den Schulkindern (14). Das Programm wird komplett von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert und in diesem Jahr im Hogrefe-Verlag publiziert. Adresse:
„ADI FIT“-KURS 48 Kinder haben bereits an diesem Kurs teilgenommen und im Sommer startet der fünfte von insgesamt sechs Kursen mit jeweils 12 Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren, deren Gewicht an der 97. BMI-Perzentile liegt. Kindern mit stärkerem Übergewicht wird zuerst eine stationäre Maßnahme empfohlen. Bevor die Kinder in das Programm aufgenommen werden, findet eine umfassende medizinische Untersuchung und zusammen mit den Eltern eine Kurzschulung über 4 bis 6 Wochen statt (zwei Gespräche mit einer Psychologin, eine Ernährungsberatung). Hierbei wird Motivation, Durchhaltevermögen, Bereitschaft zur Verhaltensänderung etc. geprüft. Erst danach zeigt sich, wer an dem einjährigen „Adi Fit“-Kurs teilnehmen kann, bei dem die Kinder von einem Team aus Kinderärzten, Diätassistentinnen, Erziehern, Kinderkrankenschwestern, Krankengymnasten, Sportpädagogen und Familientherapeuten betreut werden. Die Gruppen treffen sich einmal wöchentlich zu „Spiel und Spaß an der Bewegung“ (jeweils 1 Stunde, insgesamt 45 Termine). Im ersten Drittel des Kurses folgen danach immer Gruppengespräche, bei dem sich Psychologe/Psychologin und Ernährungsfachkraft wöchentlich abwechseln. Im zweiten und dritten Drittel des Kurses finden die Gruppengespräche nur noch alle zwei Wochen statt. Die Eltern nehmen ebenfalls viermal an diesen Treffen teil und sind darüber hinaus im Rahmen von 3 bis 4 Familiengesprächen mit dem Arzt und/oder der Psychologin in das Programm eingebunden. Das letzte dieser Gespräche wird 3 Monate nach Kursende geführt. Das Ernährungskonzept basiert auf der optimierten Mischkost des Forschungsinstituts für Kinderernährung und beinhaltet dreimal gemeinsames Kochen. Das Programm abgebrochen hat bisher noch kein Teilnehmer. Kontrolluntersuchungen sind nach 1, 3 und 5 Jahren vorgesehen. Der Kassenanteil von 867 Euro (Kurzschulung 204 Euro) wird von den meisten Krankenkassen übernommen und auch der Eigenbeteiligungsanteil der Eltern von 153 Euro (Kurzschulung 42 Euro) wird nach erfolgreicher Teilnahme ebenfalls meist erstattet (15). Adresse: Literatur: | ||||||||||||||||||||||||
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